· 

Wohnortnahe Versorgung seltener Erkrankungen - neue Herausforderung für Mediziner und die Politik

 

Seltene Erkrankungen spielen heute diagnostisch und therapeutisch im medizinischen Versorgungsalltag eine weit größere Rolle als noch vor 15 Jahren. Darauf sollten sich verstärkt auch die niedergelassenen Ärzte einstellen. Denn eine nachhaltige wohnortnahe Behandlung durch niedergelassene Haus-, Kinder- und Fachärzte vor Ort ist künftig genauso wichtig, wie die hochspezialisierte fachliche Expertise in Zentren.

 

Auf diese neuen Erfordernisse bei der Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit seltenen Erkrankungen wies Dr. Urania Kotzaeridou, Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Heidelberg, mit klaren Worten beim Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in Leipzig hin. Das war überfällig, denn bislang findet die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen hauptsächlich in Zentren statt, die zumeist an Universitätskliniken angebunden sind. Diese Zentren gelangen aber immer mehr an ihre Kapazitätsgrenzen, weil durch die Fortschritte der genetischen Diagnostik immer mehr seltene Erkrankungen immer früher erkannt werden. Dies führt zu immer längeren Wartezeiten und – bedingt durch Subspezialisierungen innerhalb der Zentren – auch zu immer längeren Anfahrtswegen für Betroffene.

 

Nach den Ergebnissen einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts aus dem Jahr 2023 wünschen sich zwei Drittel der betroffenen Patienten mit seltenen Krankheiten ausdrücklich eine koordinierte vertragsärztliche Versorgung vor Ort. Um dies auf Dauer gewährleisten zu können, müssen allerdings vor Ort Strukturen etabliert werden, die eine wohnortnahe und sektorübergreifende (Mit)-Versorgung von betroffenen Kindern und Erwachsenen sicherstellen. Für unabdingbar hält Kotzaeridou insbesondere

 

-          die Bildung von ortsnahen Teams oder regionalen Koordinierungsstellen, über die Fallkonferenzen, telemedizinische und KI-gestützte Angebote, Apps und KI-gesteuerte Übersetzungen kompetent und nachhaltig erfolgen können.

 

-          eine enge Kooperation zwischen niedergelassenen Ärzte vor Ort und den Spezialisten in den Zentren, um über Arztbriefe und andere Informationskanäle den Kollegen vor Ort klare Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben.

 

-          den Aufbau und fortlaufenden Ausbau einer Website, die für Menschen mit seltenen Erkrankungen einen Überblick über die entwicklungsdiagnostischen, therapeutischen und pädagogischen Angebote einer Region bietet.

 

Im Landkreis Konstanz ist dies bereits gelungen (https://miteinander-aufwachsen.de).

 

Mit Hilfe telemedizinischer Kommunikationsplattformen und zielgerichteter Apps könnte also nicht nur der Informationsaustausch forciert, sondern auch der jeweils erzielte Therapieerfolg visualisiert dargestellt werden. Diese Potenziale würden aber erst dann vor Ort aufgebaut und effektiv genutzt werden können, wenn sie auch finanziell gefördert werden. Hier ist jetzt die Politik gefordert!